Neuartige Versorgungsform soll körperliche Aktivität bei multimorbiden, älteren Menschen fördern und depressive Symptomatik reduzieren.
(Mainz/Berlin, 06. Juni 2024, vw) Ein neues interdisziplinäres Forschungsprojekt unter der gemeinsamen Leitung der Universitätsmedizin Mainz und der MSB Medical School Berlin untersucht die Wirksamkeit einer innovativen Versorgungsform für multimorbide, ältere Menschen mit Depression: BRIDGE ist ein Aktivierungsprogramm, das unmittelbar an einen Krankenhausaufenthalt in der Geriatrie oder Gerontopsychiatrie anschließt. Es soll zu mehr körperlicher Aktivität und positiven Erlebnissen im Alltag der Patient:innen beitragen. Ziel des Versorgungsangebots ist es, depressive Symptome zu reduzieren und die Lebensqualität der Patient:innen zu verbessern. Das Projekt startet am 1. Juli 2024 und wird über einen Zeitraum von 39 Monaten mit insgesamt rund 5,3 Millionen Euro durch den Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) gefördert.
Etwa jeder fünfte ältere Mensch ist von einer depressiven Erkrankung betroffen. Bei älteren Menschen, die zu Hause leben und bei denen zusätzlich körperliche Mehrfacherkrankungen bestehen, ist das Depressionsrisiko noch weiter erhöht. Diese besonders vulnerable Patient:innengruppe benötigt beim Übergang von einer gerontopsychiatrischen oder geriatrischen stationären Behandlung in die ambulante Versorgung Unterstützungsangebote, um die bereits erzielten Therapieerfolge zu festigen und eine erneute gesundheitliche Verschlechterung zu vermeiden. Bisher fehlen jedoch in vielen Fällen diese speziellen Versorgungsangebote. Hier setzt das vom G-BA geförderte Innovationsfonds-Projekt „BRIDGE – Behaviorale und körperliche Aktivierung für multimorbide, ältere Patient:innen mit depressiven Symptomen beim stationär-ambulanten Übergang“ an.
BRIDGE soll zu mehr körperlicher Aktivität und positiven Erlebnissen im Alltag beitragen
„Im Erfolgsfall steht mit BRIDGE erstmals eine Versorgungsform zur Verfügung, die eine stationäre mit einer ambulanten Behandlung älterer depressiver Patient:innen mit körperlichen Mehrfacherkrankungen verbindet und dazu beiträgt, Krankheitssymptome zu reduzieren, stationäre Behandlungstage zu verringern und die Funktionsfähigkeit und Lebensqualität der Betroffenen zu erhöhen“, betont die Mainzer Projektleiterin Prof. Dr. Alexandra Wuttke, die gemeinsam mit der stellvertretenden Projektleiterin, Dr. Katharina Geschke, die Zentrale Forschungseinheit für psychische Gesundheit im Alter (ZpGA) der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universitätsmedizin Mainz leitet, an der auch die Konsortialführung des Forschungsprojekts angesiedelt ist, und am Universitätsklinikum Würzburg eine Professur für die Prävention von Demenz und Demenzfolgeerkrankungen innehat.
Im Rahmen des Versorgungsangebots BRIDGE werden Patient:innen zu körperlicher Aktivität und einer positiven Alltagsroutine ermutigt und befähigt. Sie lernen, körperliche Bewegung in ihre täglichen Abläufe zu integrieren und für mehr angenehme Erlebnisse im Lebensalltag zu sorgen. Diese sollen ein Gegengewicht zu teils unveränderlichen Belastungen bilden. „Das Grundprinzip lautet: Nicht darauf warten, bis es besser wird; sondern den Alltag aktiv in die Hand nehmen, selbst wenn die Lust und Motivation zunächst fehlt. Dadurch wird der Teufelskreis zwischen Inaktivität und Depressivität unterbrochen – Stimmung und Lebensqualität verbessern sich“, erläutert die Berliner Projektleiterin Prof. Dr. Eva-Marie Kessler. Die Professorin für Gerontopsychologie an der MSB Medical School Berlin entwickelt das Programm inhaltlich gemeinsam mit Prof. Dr. Lisa Warner (MSB Medical School Berlin) und der Sportwissenschaftlerin Prof. Dr. Claudia Voelcker-Rehage (Westfälische Wilhelms-Universität Münster).
Das Aktivierungsprogramm wird bereits im Rahmen des Klinikaufenthaltes angebahnt und dann nahtlos bei den Patient:innen zu Hause durch speziell geschulte Pflegefachkräfte weitergeführt. Diese arbeiten in sogenannten BRIDGE-Teams mit Psychotherapeut:innen und Bewegungswissenschaftler:innen zusammen. Zusätzlich wird das neuartige Versorgungsangebot auch videobasiert im häuslichen Umfeld ermöglicht. Die Patient:innen können Videoanrufe mit den Pflegekräften durchführen und Bewegungsübungen digital abrufen. In einem Stepped Care-Ansatz wird, je nach Ausprägung der depressiven Symptomatik, eine achtwöchige Basis- oder eine zwölfwöchige Intensivversion des Programms angeboten.
Großes deutschlandweites Konsortium setzt BRIDGE um
Die Wirksamkeit der neuartigen Versorgungsform soll ab Anfang 2025 bei insgesamt 800 Teilnehmenden an 13 Kliniken in Rheinland-Pfalz, Hessen, Saarland und Bayern erprobt werden. Dazu gehören das Agaplesion Elisabethenstift, die Agaplesion Frankfurter Diakonie Kliniken, die Geriatrische Fachklinik Rheinhessen-Nahe, die Rheinhessen-Fachklinik Alzey, die Saarland-Heilstätten GmbH, die Universitätsmedizin Mainz sowie das Universitätsklinikum Würzburg.
Es wird geprüft, wie die Teilnehmenden die neue Versorgungsform annehmen und wie die Leistungserbringenden den Nutzen des Programms einschätzen und die Zusammenarbeit bewerten. Die IKK Südwest und die Techniker Krankenkasse (TK) liefern Routinedaten aus ihrem Versichertenbestand für die gesundheitsökonomische Evaluation. Grundsätzlich können aber alle gesetzlich versicherten betroffenen Patient:innen an der Studie teilnehmen.
„BRIDGE ist ein besonders wertvolles Projekt, weil es das unterstützt, was viele Seniorinnen und Senioren sich wünschen: so lange wie möglich im häuslichen Umfeld bleiben zu können. Wir als TK sehen Selbstbestimmtheit als hohes Gut an und unterstützen dieses Projekt deshalb sehr gerne. Positiv hervorzuheben ist hierbei die fachübergreifende Zusammenarbeit der beteiligten Pflegekräfte, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Therapeutinnen und Therapeuten sowie die digitale Unterstützung durch Videochat und Online-Angebote", sagt Jörn Simon, Leiter der rheinland-pfälzischen Landesvertretung der Techniker Krankenkasse (TK).
Die Deutsche Depressionsliga e. V. (DDL) wird als Patient:innenvertretung alle Phasen des Projekts begleiten. Sie wird dabei von der Initiative Bündnisse gegen Depression Rheinland-Pfalz und dem Darmstädter Bündnis gegen Depression unterstützt.
Um eine unabhängige Bewertung der Projektergebnisse zu gewährleisten, führt das IGES Institut in Berlin eine externe Evaluation durch. Die Datenerhebung erfolgt dabei am Institut für klinische Epidemiologie und Biometrie der Universität Würzburg. Die Zentrale für klinische Studien des Universitätsklinikums Würzburg führt zudem ein Monitoring zur Sicherstellung der Datenqualität durch.
Weitere Kooperationspartner:innen sind die Deutsche Gesellschaft für Verhaltenstherapie (DGVT), die Landespflegekammer Rheinland-Pfalz, die Katholische Hochschule Mainz, die Goethe-Universität Frankfurt am Main, die Medizinische Hochschule Brandenburg sowie das Ministerium für Wissenschaft und Gesundheit Rheinland-Pfalz.
Download der gemeinsamen Pressemitteilung zu BRIDGE (PDF-Format)